Mannheim Forum: Streitpunkt Steuern, Streitpunkt Lucke
Das Mannheim Forum 2017 ist vorüber. Anders als die Diskussion rund um die Einladung des neoliberalen Bernd Luckes mit AfD-Vergangenheit. Warum seine Teilnahme kein Skandal war.
Samstag, 16:30 Uhr: Der Hörsaal SO 108 unserer Uni ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Man beachte: Bei keiner Veranstaltung dieses Kongresses war der Andrang dermaßen groß wie jetzt. Die Diskussion „Streitpunkt Steuern – Wie (un)gerecht ist unser Steuersystem?“ will sich wirklich niemand entgehen lassen, wurde doch im Vorfeld so viel gestritten um die Einladung Bernd Luckes durch die Organisatoren des Mannheim Forums 2017. Die Vorwürfe: Die Verantwortlichen würden den polarisierenden und durchaus prominenten Politiker instrumentalisieren, um mehr Aufmerksamkeit auf die Veranstaltung zu werfen. Luckes Positionen mit rechtspopulistischer Tendenz stünden außerdem im Widerspruch zur international ausgerichteten Universität Mannheim mit klarem Bekenntnis zu Weltoffenheit und Toleranz. Besonders kritisch sahen viele, dass man Lucke vielmehr als Wirtschaftsexperten statt als Parteipolitiker angekündigt hatte – wohlgemerkt ohne Hinweis auf dessen AfD-Vergangenheit (siehe hierzu auch die Auseinandersetzung der bAStA vom 16. März). Die Frage, die wir uns nun stellen: Haben sich die Befürchtungen der Kritiker als zutreffend erwiesen?
Tatsächlich lässt das Team hinter dem Mannheim Forum die Diskussion der vergangenen Tage nicht unkommentiert. Vorstandsmitglied der Initiative, Navdeep Kaur Ghothra, tritt aufs Podium und hat den Anwesenden Folgendes mitzuteilen: „Wir wissen, dass es im Vorfeld Kritik an der Einladung bestimmter Referenten gab. Trotzdem freuen wir uns auf eine lebhafte und sachliche Debatte.“ Dann bittet sie den Deutschlandfunk-Redakteur Tobias Armbrüster auf die Bühne, der das Publikum sogleich in das Thema einführt, dessen Fragen ihm als Absolvent der Wirtschaftswissenschaften ebenfalls vertraut sein dürften: Brauchen wir mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland? Muss man Superreiche „fairer“ besteuern?
Nach der Reihe betreten die geladenen Referenten die Bühne, darunter Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, der die ungleiche Vermögensverteilung und die gravierenden Einkommensunterschiede in Deutschland kritisiert. Dieser wurde jüngst für seine sehr ausdrucksvolle Zollstock-Rede vergangenen Monat im Bundestag zu genau diesem Konflikt gefeiert. Hinzu kommt Prof. Dr. Christoph Spengel, der an unserer Uni in BWL und Steuerlehre doziert und außerdem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums ist. Mit von der Partie ist zudem Sebastian Fiedler, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bund Deutscher Kriminalbeamter, somit Experte in Sachen Steuerkriminalität. Luckes AfD-Vergangenheit bleibt von Armbrüster nicht unerwähnt. Jeder einzelne Auftritt ist begleitet von großem Applaus. Dabei sticht allerdings der begeisterte Jubel für Spengel heraus, der im Schloss klaren Heimvorteil genießt und vor einem großen Teil des Publikums wöchentlich Vorlesungen abhält. Schluss mit der kleinen Schmunzelei am Rande. Bis dahin nichts zu spüren von der ganzen großen Aufregung.
Die Debatte beginnt: Zunächst wird auf das Thema „Soziale Gerechtigkeit in Deutschland“ eingegangen. Binding: „Ein einfaches und gleichzeitig gerechtes Steuersystem gibt es nicht.“. Dem stimmt Lucke zu: Die Steuer definiert er als „Gesetzeswerk, das für alle Bürger gleich sein soll“. Durch individuelle Besteuerung versuche der Fiskus ein „subjektives Gefühl der Steuergerechtigkeit herzustellen“. Im Gegensatz dazu ließe sich aber auch eine Vereinfachung des Systems, beispielsweise durch eine Pauschalsteuer oder sog. „Flat-Tax“, herbeiführen. Lucke bevorzugt klar die zweite Option und stößt dabei an Binding, der für eine effektivere Umverteilungsstrategie plädiert: „Wer mehr verdient, muss auch absolut mehr Steuern zahlen.“ Dagegen Lucke: „Ein progressives Steuersystem setzt den Anreiz, Steuern zu vermeiden“.
Von da an wird Steuergerechtigkeit zum Hauptgegenstand der Debatte. Fiedler betont, er vermisse die Diskussion rund um den Steuervollzug in den deutschen Parlamenten. Neben Steuergerechtigkeit vernachlässige man die nicht weniger wichtigen Probleme der Steuervermeidung. Spengel hingegen, der die Runde mit mehr informativen als normativen Beiträgen bereichert, weißt auf die hohen Finanzüberschüsse Deutschlands hin und sieht kein wirkliches Steuervermeidungsproblem.
Leider entfernt sich die Diskussion dann fortab vom ursprünglichen Thema der Steuergerechtigkeit in Deutschland. Das Blickfeld wird international, das „unser“ im Veranstaltungstitel wird plötzlich europäisch ausgelegt. Zunehmend fallen Stichworte wie „Apple“ und „Irland“. Lucke wechselt nun in die Rolle des Europaparlamentariers: Man müsse stets darauf achten, dass fairer Wettbewerb zwischen Unternehmen gegeben ist. Ehrliche Steuerzahler würden von einer Konkurrenz, die Steuerschlupflöcher nutzen, unter Druck gesetzt. Solch eine Wettbewerbsverzerrung sei dringend zu bekämpfen. Dafür erhält Lucke sogar Szenenapplaus. Auch Binding erntet Beifall mit der Aussage, es müssten internationale Absprachen getroffen werden, um Fälle von Steuerflucht wie der zu den Panamapapers zu bekämpfen. Dies versäume Wolfgang Schäuble seit Langem.
Was ist die Moral von der Geschicht? Fakt ist, Bernd Lucke ist kontrovers. Wer ihm kritisch gegenüber steht, schreckt auf bei Aussagen wie dieser: „Die Besteuerung von Tageseinkommen über 50 Tsd. Euro und mehr mit knapp über 40% sollte das obere Limit sein, sofern deren Abwicklung ehrlich und korrekt abläuft. Damit haben die Eigentümer ihren Beitrag zur Gesellschaft mehr als genug geleistet.“ Auch solche Sätze sind gefallen: „Artikel 14 des Grundgesetzes schützt Eigentum. Besteuerung greift in diese Ordnung ein.“ Darüber kann und sollte man streiten. Ein Ausschluss Luckes vom Mannheim Forum hätte dies verhindert. Wer der Diskussion am Samstag beigewohnt hat, wird bestätigen: Lucke hat sich deutlich ausgedrückt aber sachlich argumentiert. Die Rolle des Angreifers hat Binding eingenommen und erfüllt.
Es wird zunehmend wichtiger, sich mit dem Thema „Soziale Ungleichheit“ auseinanderzusetzen. Am besten dialektisch statt einseitig, vor großem Publikum statt kleiner Zuhörerschaft. Letzteres ist den Organisatoren eben auch mit der Wahl eines schlicht prominenten Redners gelungen. Auch die Tatsache, dass die Debatte zur Hälfte über Europa statt ausschließlich über Deutschland geführt wurde, rechtfertigt die Teilnahme Luckes als Europaabgeordneten. Bleibt nur noch die Sache mit der AfD und dem Rechtspopulismus. Da gibt es nicht viel zu sagen außer: Hat wenig mit dem Thema zutun.
Adam Aach