Warum ausgerechnet die Türkei?

 In BAStA, Studileben

Man muss nicht Politikwissenschaft studieren um zu wissen: Die Türkei ist in letzter Zeit nicht gerade der sicherste Ort und immer wieder Thema kontroverser Debatten. Trotzdem hat Sebastian genau dort im Frühjahr sein Auslandssemester gemacht. Im Gespräch berichtet er, wie er die Einschränkung der Meinungsfreiheit erlebt hat, was er im Wahlkampf für das Verfassungsreferendum getan hat und gibt uns eine Antwort auf die oft gestellte Frage: Warum ausgerechnet die Türkei?

Ob sonniger Strand in Spanien, klirrende Kälte in Kanada oder Monsunregen in Malaysia – bei einem Auslandssemester hat man die Qual der Wahl zwischen zahlreichen Ländern und deren verschiedenen Universitäten. Man kann sich an Rankings orientieren, am Lernaufwand oder am Rat von Familie und Freunden.

Doch all diese Kriterien waren nicht entscheidend für Sebastian Gabel. Er studiert im fünften Semester Politikwissenschaft mit Soziologie im Beifach und hat sich für sein Auslandssemester ein Land ausgesucht, das in den vergangenen Monaten immer wieder im negativen Sinne für Schlagzeilen sorgte: Die Türkei.

Sebastian bleibt dabei

Bereits im Frühjahr 2016, als Sebastian seine Bewerbung für den Aufenthalt abschickte, war die politische Situation angespannt. Als dann Mitte Juli der Putsch gegen die Regierung stattfand (wikipedia.org/wiki/Putschversuch) kamen ihm erste Zweifel. Im Gespräch erinnert er sich heute, warum er bei seiner Entscheidung geblieben ist: „Es gab keine Reisewarnung und in großen Städten hat man als Ausländer ohne politische Ambitionen keine großen Probleme zu erwarten.“

Also trat er sein Auslandssemester wie geplant an. Aber warum ausgerechnet die Türkei? Eine Frage, die er bereits oft gehört hat. Denn Umfeld und Familie zeigten sich mehrheitlich skeptisch. Er hätte auch – so wie einzelne Studierende der Uni Mannheim damals – seine Bewerbung für die Türkei zurückziehen und in ein anderes Land gehen können.

Internationale Politik und das tägliche Leben – zwei Welten oder ein Zusammenhang?

Ihn habe es gereizt, erzählt Sebastian, in einem Land außerhalb der EU zu leben, mit einer anderen Kultur, besonders in der riesigen Metropole Istanbul, dem Ort seiner Austausch-Uni. Die sei im Verhältnis zu anderen türkischen Unis sehr liberal. Und als Politikwissenschaftler interessiere es ihn natürlich auch, den politischen Übergang mitzuerleben, in dem sich die Türkei derzeit befindet.

Wenn man Sebastian zuhört, wie er über seine Zeit in Istanbul erzählt, bekommt man das Gefühl, dass dieser Übergangsprozess vor allem Unsicherheit bedeutet. Die Menschen, mit denen er Kontakt hatte, hätten eine eher positive Einstellung gegenüber Deutschland gehabt. Nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der sich die deutsch-türkischen Beziehungen immer weiter verschlechtern. “Mir gegenüber waren sie offen – solange man das Thema Politik ausklammert.”


Am Bosporus: Sebastian macht ein Selfie


Wissen, was man in Deutschland hat

Denn so gut der Gesamteindruck seines Auslandssemesters, desto schwerer wiegt eine ganz spezielle Erfahrung, die Sebastian in der Türkei gemacht hat – Meinungsfreiheit, beziehungsweise ihre Abwesenheit. Diskussionen konnte man nicht offen führen, erzählt er, und ihm wurde von mehreren türkischen Bekannten abgeraten, sich zu politischen Themen zu äußern.

Diesen Rat hat er jedoch nur teilweise befolgt. Als im April Wahlkampf für das Verfassungsreferendum (wikipedia.org/wiki/Verfassungsreferendum) gemacht wurde, postete er schließlich doch eine Reihe von Statements auf seinem Facebook-Account. “Weil Leute, die ich kannte, von dem Thema keine Ahnung hatten.”

Nie an Abbruch gedacht

Auswirkungen auf das Alltagsleben habe er nicht gespürt, selbst, als sich die politische Lage verschlechterte. Nur die Uni sei voll gewesen, weil sie Studierende von Hochschulen aufgenommen hatte, die geschlossen worden sind. Empfehlen kann Sebastian ein Auslandssemester in Istanbul definitiv. Auch, wenn er bei der Kontrolle am Flughafen angespannt war – er würde die Reise wieder antreten. Denn für ihn ist der Dialog wichtig – gerade mit Menschen aus einem Land, in dem man eben nicht immer alles frei sagen kann.

Das Interview mit Sebastian führten Christin Rudolph und Christian von Stülpnagel

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